Auswirkungen von Starkregenereignissen verstehen

03 September 2021, Julia Bauer

Mitte Juli haben extreme Niederschläge in weiten Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu einer verheerenden Hochwasserkatastrophe geführt. Unsere Mitarbeiterin Julia Bauer, deren Familie selbst von den Überflutungen betroffen war, hat die Ereignisse im Swistal vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Tätigkeiten aufgearbeitet und die Hochwassersituation digital mit der Geodesign Plattform Tygron rekonstruiert. Welche Erkenntnisse daraus für die Zukunft gezogen werden können, beschreibt sie in ihrem Blog-Beitrag:

Über ein Monat ist bereits vergangen, seitdem das Starkregenereignis in Nordrhein-Westfalen und Rheinlandpfalz bei tausenden von Familien, darunter auch meiner eigenen, zu großen Verlusten und Schäden führte. Während die Folgen noch immer verheerend sind und für viele in den kommenden Monaten und Jahren eine Herausforderung bleiben werden, wird allmählich klar, dass aus dieser Katastrophe auch Lehren für den zukünftigen Umgang mit derartigen Ereignissen gezogen werden müssen.

Durch meine berufliche Tätigkeit war es mir ein Anliegen, die Folgen des Starkregens in meiner Heimat aus technischer und wissenschaftlicher Sicht verstehen zu können. Gemeinsam mit meinem niederländischen Kollege Len Geisler haben wir mithilfe der Geodesign Plattform Tygron begonnen das Starkregenereignis in Heimerzheim digital zu rekonstruieren.

Die Software Tygron wird von TAUW bereits seit einiger Zeit dafür eingesetzt, auf schnelle und einfache Weise zu simulieren, wie sich Extremwetterereignisse (Starkregen oder auch Hitzestress) auf ein bestimmtes Gebiet auswirken. Für die Erstellung solcher Modelle greift Tygron auf offen zugängliche Open-Source-Daten zurück, die leicht mit zusätzlichen Daten (z.B. Boden- und Wasserstandsdaten von Behörden) ergänzt werden können. Ich habe hier zum ersten Mal mit Tygron gearbeitet und war überrascht, dass wir für die gesamte Erstellung eines ersten Modells weniger als eine Stunde benötigten. Die ersten Ergebnisse konnten wir nach wenigen Minuten sehen. Allein für die Berechnung eines Modells dieser Größe (mit einer Modellgröße von 18 x 19 km, 162 Mio Zellen und 2 Mio Zeitschritten) brauchten die Software-Lösungen die ich bislang kannte mindestens einen ganzen Tag. Tygron schaffte dies in 2 Stunden.

Darüber hinaus war ich erstaunt, wie exakt das Modell war. Die Simulation in unserem ersten Modell, das wir nur anhand der allgemein verfügbaren Daten und der gemessenen Niederschlagsdaten erstellten, konnte die tatsächliche Überflutungssituation in Heimerzheim ziemlich genau wiedergegeben und verdeutlichte gleichzeitig noch einmal das traurige Ausmaß der Hochwasserkatastrophe in der ganzen Stadt. (Abbildung 1)

In einem weiteren Schritt haben wir das größere Wassereinzugsgebiet berücksichtigt und eine Hochskalierung vom Dorfmaßstab auf das gesamte Wassereinzugsgebiet vorgenommen. Dadurch kann das Zusammenspiel zwischen großen Flüssen und kleinen Bächen sowie auch die Boden- und Landnutzung in einem Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Wir konnten dabei deutlich sehen, wie schnell die größeren Flüsse (in diesem Fall Rhein und Erft) das Wasser in diesem Einzugsgebiet auf die kleineren Bäche verteilten. (Abbildung 2)

Die vielfältigen Optionen die Tygron bietet, ermöglichten es uns auch mögliche Szenarien wie den Dammbruch der Steinbachtalsperre oder ähnliche Risiken in den Niederlanden zu visualisieren. (Abbildung 3)

Eine weitere spannende Anwendung die wir nutzen konnten, war die Möglichkeit Evakuierungsmodelle zu erstellen, die in den Niederlanden auch teilweise schon in das nationale Warnsystem mit eingebunden werden. Hierzu verwendet Tygron einen Routing-Algorithmus, der die möglichen Routen über die man die Stadt verlassen kann ermittelt. Beispielhaft haben wir dieses Evakuierungsmodul auch für die Stadt Heimerzheim genutzt und erkannt, dass die meisten Routen über die man die Stadt hätte verlassen können, schon vor dem Höhepunkt der Niederschläge gesperrt waren. (Abbildung 4)

Anhand der Ergebnisse der vorangegangenen Berechnungen der Wassertiefe konnte zudem ermittelt werden, welche Häuser im schlimmsten Fall mit einem Hubschrauber hätten evakuiert werden müssen. (Abbildung 5

Je mehr Zeit wir mit der Bearbeitung verschiedener Modelle sowohl für Gebiete in Deutschland als auch in den Niederlanden verbrachten, desto deutlicher wurde uns, dass in Zukunft eine noch größere Herausforderung auf uns zukommen wird. Zu verstehen wie unser Wassersystem funktioniert und zu wissen, wie es auf Regen und auch auf Dürre reagiert, ist nicht nur auf nationaler Ebene relevant. Um die Kommunikation in Notfällen zu erleichtern und dadurch die Sicherheit der Menschen wirklich gewährleisten zu können, ist grenzübergreifendes Denken und Zusammenarbeit unumgänglich.

Digitale Anwendungen wie Tygron können dabei sehr hilfreich sein, auf schnelle und unkomplizierte Weise, eine erste Einschätzung potentieller Gefahrensituationen zu erstellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können.

(zum Vergrößern auf die Bilder klicken)

Abb. 1: Überschwemmungen in Heimerzheim

Abb. 2: Wasserhöhen im Wassereinzugsgebiet Swisttal

Abb. 3: Dammbruch an einem Damm in den Niederlanden

Abb 4: Rettungswege in Swisttal

Abb. 5: Evakuierungspunkte in Heimerzheim

Mehr über die Geodesign Plattform Tygron: 

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