Quecksilber in europäischen Flüssen und Seen in Zeiten des Klimawandels

19 Juli 2022, Dr. Patrick Jacobs

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt Quecksilber zu den zehn gesundheitlich bedenklichsten Chemikalien weltweit. In Europa haben sich mit der Unterzeichnung der Minamata Convention praktisch alle Länder zur Minimierung von Quecksilberemissionen verpflichtet. Warum europäische Flüsse bei der Risikobetrachtung und -bewertung von Quecksilberkontaminationen in den Fokus rücken sollten und welche Rolle der Klimawandel dabei spielt, beantwortet Dr. Patrick Jacobs in folgendem Artikel.

Die Ausführungen dieses Artikel basieren auf Erkenntnissen und Erfahrungen unserer internationalen TAUW Expertengruppe, die sich seit mehreren Jahren auf internationaler Ebene mit der Quecksilber-Problematik auseinandersetzt. Im September 2022 werden unsere Expert:innen hierzu in Italien einen Vortrag auf der RemTech Expo halten, der sich speziell mit der Problematik Quecksilber in europäischen Flussbettsedimenten auseinandersetzen wird.

Warum ist Quecksilber in Gewässern ein so großes Problem? 

Der Quecksilberbericht der europäischen Umweltbehörde EEA führt einmal mehr deutlich vor Augen dass Quecksilber in Gewässern ein besonders hohes Risiko darstellt. Hier liegt es besonders häufig in seiner giftigsten Form, dem Methylquecksilber, vor. Als sogenannte organo-metallische Verbindung wird es leicht von Tieren, einschließlich Fischen, aufgenommen und kann sich in der aquatischen Nahrungskette weiter anreichern.

Der Zustand von Gewässern wird in Europa auf Grundlage der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) überwacht und bewertet. Die WRRL definiert den chemischen Zustand von Gewässern und verpflichtet alle Mitgliedsstaaten, den chemischen und ökologischen Zustand ihrer Gewässer anhand der EG-UQN-Richtlinie (2008/105/EG, geändert mit 2013/39/EU) zu bewerten. Diese legt für bestimmte Stoffe und Stoffgruppen, unter anderem für Quecksilber, Umweltqualitätsnormen (UQN) fest, die in allen Staaten der EU gültig sind. Für die meisten dieser überwachten Stoffe werden die Umweltqualitätsnormen nur in einigen wenigen Gewässerabschnitten in Europa überschritten. Bei Quecksilber ist die Situation jedoch anders. In Deutschland beispielsweise stellt Quecksilber (wie auch polybromierte Diphenylether, BDE) ein praktisch allgegenwärtiges Problem in den Oberflächengewässern dar. Dies deckt sich mit Erkenntnissen aus vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten: Aktuelle Überwachungsdaten zeigen, dass von den rund 111.000 Oberflächengewässern in der EU fast 46.000 die zum Schutz von fischfressenden Vögeln und Säugetieren festgelegten UQN für Quecksilber nicht einhalten (maximal 70 ng/L zulässige Konzentration in der Wasserphase und 20 µg/kg in Biota) [EEA 2018].

Woher kommt das Quecksilber in europäischen Gewässern?

Wie bei vielen persistenten organischen Schadstoffen, die aus verschiedensten industriellen Prozessen im Einzugsgebiet der großen europäischen Flussgebieten stammen, ist es schwierig, den Ursprung und die Ausbreitungspfade von Quecksilber in den europäischen Oberflächengewässern zurückzuverfolgen. Historische Primärquellen wurden zum Teil längst stillgelegt. Die verbliebenen Ablagerungen im Boden und in Sedimenten wirken jedoch als langfristige sekundäre Quellen für die aquatische Umgebung. Unter anderem in den Niederlanden und Spanien konnten wir bei einer Reihe von (ehemaligen) großen Industriestandorten (Chloralkalianlagen), in denen Quecksilber verwendet wurde, eine deutliche Anreicherung von Quecksilber in Sedimenten in der Nähe von Abwasser- und Regenwassereinleitungsstellen feststellen, was auch zu einer weiteren flussabwärts gerichteten Ausbreitung und Ablagerung von quecksilberhaltigen Sedimenten in stromabwärts gelegenen Fluss-, Ufer- und Auenabschnitten führte.
Gerade diese quecksilberhaltigen Sedimentablagerungen sind sehr bedenklich, da aquatische Organismen in direktem Kontakt mit der an der Partikeloberfläche gebundenen oder im Porenwasser gelösten Kontamination stehen. Darüber hinaus entsteht durch zunehmende Überflutungen und Hochwasserereignisse eine zusätzliche Gefahrenquelle, wenn partikelgebundenes Quecksilber aus Sedimenten und Auenböden weiter mobilisiert wird.

 

Wie erhöht der Klimawandel das Umweltrisiko durch Quecksilber?

Im letzten Jahrzehnt kam es in vielen europäischen Ländern immer wieder zu extremen Hochwasserereignissen, die auch kleinere Bäche und Flüsse in reißende Gewässer verwandelten und so erhebliche Schäden an der Infrastruktur verursachten. Immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass schwere Hochwasserereignisse in den kommenden Jahrzehnten aufgrund des globalen Klimawandels sowohl hinsichtlich ihrer Häufigkeit als auch ihrer Intensität zunehmen werden.

Vor diesem Hintergrund können Wassersedimente und Auenböden, die flussabwärts von städtischen oder industriellen Einzugsgebieten liegen, zu einer ernstzunehmenden Altlastenquelle für die umliegende Umwelt werden, wenn partikelgebundene Schadstoffe durch zunehmende und extremere Hochwasserereignisse mobilisiert werden. Aufgrund der bioakkumulierenden und toxischen Eigenschaften von Quecksilber, insbesondere von Methylquecksilber, spielt die Anreicherung von Quecksilber in aquatischen und terrestrischen Nahrungsketten nach solchen Hochwasserereignissen eine immer größere Rolle im globalen Quecksilberkreislauf. Über den Verzehr von tierischen Erzeugnissen und Nutzpflanzen wird gelangt das Quecksilber schließlich auch in den menschlichen Organismus und führt so potenziell zu einer Gesundheitsgefährdung für die betroffenen Menschen.

 

Welche Maßnahmen können ergriffen werden?

Die Minimierung von Risiken für Mensch und Umwelt ist oft die wichtigste Triebfeder beim Umgang mit quecksilberkontaminierten Standorten und Gebieten. Um Risiken für Mensch und Umwelt wirksam zu verringern, sind Risikobewertungen für die menschliche Gesundheit (HHRA) und ökologische Risikobewertungen (ERA) notwendige und wirksame Instrumente, die in die Entscheidungsfindung und die Planungsphase für (kosten-)effiziente Eindämmungs- und Sanierungsmaßnahmen einbezogen werden müssen. Damit können realistische und klare Ziele, Vorgaben und Bewertungsrahmen aufgestellt werden. Außerdem bieten diese Instrumente die Möglichkeit, die Betroffenen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und die Akzeptanz der Sanierungs-/Minderungsmaßnahmen und ihrer Ergebnisse zu erhöhen.
Eine wesentliche Grundlage für solche Risikobewertungen können unserer Meinung nach detaillierte Kartierungs- und Inventarisierungsstudien liefern, die Auskunft darüber geben, wo die Umweltrisiken durch Quecksilber in den europäischen Flusssystemen am höchsten sind - insbesondere im Hinblick auf Risiken durch schwere Hochwasserereignisse. Hierbei spielen nicht nur historische Sedimentablagerungen in Flussläufen, Rückstaugewässern und Aueböden eine Rolle, sondern auch Untersuchungen zum den vorhandenen Quecksilber-Konzentrationen und ihrer Ausbreitung bei Hochwasserereignissen sowie die Überwachung und Analyse von Transportmustern unter verschiedenen hydrologischen Bedingungen.

 

Referenzen und weiterführende Informationen zum Thema:

  • EEA. 2018. Mercury in Europe’s environment – a priority for global action. Luxembourg: European Environment Agency.
  • Umweltbundesamt. 2022. Chemischer Zustand der Fließgewässer. https://www.umweltbundesamt.de/daten/wasser/fliessgewaesser/chemischer-zustand-der-fliessgewaesser#der-chemische-zustand-der-gewasser. Accessed 03.06.2022.
  • Crawford SE, Brinkmann M, Ouellet JD, Lehmkuhl F, Reicherter K, Schwarzbauer J, Bellanova P, Letmathe P, Blank LM., Weber R, Brack W, van Dongen JT, Menzel L, Hecker M, Schüttrumpf H, Hollert H. 2022. Remobilization of pollutants during extreme flood events poses severe risks to human and environmental health. J Hazard Mat 421: 1 -11.
  • Alfieri L, Burek P, Feyen L, Forzieri G. 2015. Global warming increases the frequency of river floods in Europe. Hydrol. Earth Syst. Sci. 19: 2247–2260.
  • Arnell NW, Gosling SN. 2016. The impacts of climate change on river flood risk at the global scale. Clim. Chang. 134:387–401.
  • Ponting J, Kelly TJ., Verhoef A, Watts MJ, Sizmur T. 2021. The impact of increased flooding occurrence on the mobility of potentially toxic elements in floodplain soil – A review. Sci Tot Env 754:1-16.

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